28. September 2015
Es gibt so viele Gründe, warum hier in letzter Zeit keine Beiträge mehr erscheinen. So viel hat sich grundlegend in unserem täglichen Leben geändert.
Das, was uns zeitlich am meisten durcheinander wirbelt ist wohl, dass ich wieder angefangen habe zu arbeiten. Und ich liebe es. Ich hatte ganz vergessen wie befriedigend es sein kann, nicht mehr nur „die Mama von“ zu sein, eigene Entscheidungen zu treffen und Erfolgserlebnisse jenseits vom Alltag als Hausfrau und Mutter zu haben. Ich habe tolle Kollegen, eine anspruchsvolle, aber machbare Aufgabe, die mich jeden Tag wieder auf eine angenehme Art fordert und kann für vier Stunden einfach Ich sein. Und auch wenn diese Stelle nur bis Ende des Jahres befristet ist, hat sie mich doch schon jetzt so viel weiter gebracht, meinen Horizont erweitert (man muss sich mal vorstellen, dass ich 26 Jahre lang nur einen einzigen Arbeitgeber hatte) und mir gezeigt, dass ich immer noch flexibel und rege im Kopf bin. Vielleicht kann das der Ein oder Andere da draußen nachvollziehen.
Ein paar Wochen vor meinem Arbeitsantritt wurde Miss Allerliebst zudem ein Kindergartenkind. Bis zu den Sommerferien stand ihr das Fräulein Wunder dort noch zur Seite, was vieles einfacher machte. Zum Beispiel die Eingewöhnung in der Frühgruppe. Denn durch meinen Start in die Arbeitswelt verschoben sich auch die morgendlichen Zeiten der Kinder. Die ersten Wochen brachte ich die beiden Mädels noch gegen halb neun in den Kindergarten, da ab da ihre Erzieherinnen anwesend waren. Doch schon bald fing ich früher an zu arbeiten und die Kinder mussten zwischen halb acht und acht in den Kindergarten. Bis halb neun werden dort alle Kinder in einer Frühgruppe betreut. Mit Erziehern, die Miss Allerliebst und das Fräulein Wunder nicht wirklich kennen.
Auch diese Hürde haben wir inzwischen ganz gut gemeistert. Schwierig wurde es dann noch einmal nach den Sommerferien, als das Fräulein Wunder in die Schule kam. Denn ab da musste Miss Allerliebst morgens alleine in den Kindergarten und in die Frühgruppe.
In der ersten Woche weinte sie bereits zu Hause beim Zähneputzen, dass sie nicht in den Kindergarten sondern mit dem Fräulein Wunder in die Schule gehen wolle. Aber es half ja nichts. Ich blieb in der Anfangszeit noch ein bißchen mit ihr in der Frühgruppe, ließ mir in der Spielküche ein Frühstück richten oder legte mit ihr ein Puzzle, bevor ich mich dann doch verabschiedete.
Inzwischen klappt auch diese Verabschiedung mehr oder weniger reibungslos. Miss Allerliebst hat sich daran gewöhnt, ohne ihre Schwester den Kindergarten zu besuchen und alle Erzieher bestätigen mir, dass sie sich gut eingelebt hat und sich zurecht findet. Zudem sind nach den Ferien weitere, neue und jüngere Kinder in die Gruppe hinzu gekommen, was sie nun zu einer „Großen“ macht und das scheint ihr ausnehmend gut zu gefallen.
Tja. Und dann ist da natürlich das Fräulein Wunder. Mein wundervolles, großes Schulkind. So viele Gedanken, die ich mir im Vorfeld gemacht habe. So viele Ängste und Befürchtungen, die ich hatte und die ich sie nie spüren lassen wollte.
Sie freute sich wie wahnsinnig auf die Schule. „Mama, gell, jetzt fängt der Ernst des Lebens an?“ „Hm, was ist denn der Ernst des Lebens für Dich?“ „Na, da kann ich endlich alles alleine lesen und darf ins Bett gehen wann ich will.“ So viel also zu den Träumen einer Sechsjährigen.
So viel war vorab zu organisieren. Der Hortplatz, den wir quasi in letzter Minute bekamen, die ewig lange Liste mit Schulmaterialien, die besorgt werden wollten, die Suche nach dem richtigen Schulranzen, der passenden Schultüte, das Beschriften jedes Heftes und jedes Buntstiftes und das Organisieren der Einschulungsfeier.
Und dann der große Tag. Ich glaube, ich war aufgeregter als das Fräulein Wunder selbst. Würde alles klappen? Wie würde sich das Fräulein in der Schule und in ihrem neuen Hort zurecht finden? Der schlimmste Moment war für mich, als nach der offiziellen Feier in der Schulturnhalle die Kinder einzeln aufgerufen und ihrer jeweiligen Klassenlehrerin zugeteilt wurden. Als sie dann gemeinsam einfach so aus der Turnhalle spazierten, standen mir dann doch die Tränen in den Augen. Zum Einen natürlich vor grenzenlosem Stolz und zum Anderen wegen einer gehörigen Portion Wehmut. Da ging sie dahin mein Baby. Irgendwie hatte ich sie doch erst gestern noch als kleines Bündel an mich gedrückt, meine Nase in ihrem weichen Babyhaar versenkt und ihr Küsse auf die Wange gedrückt, ohne dass sie hinterher das Gesicht verzieht, laut „Bääääh“ ruft und sich demonstrativ die Wange abwischt. Hach!
Inzwischen ist eine Woche Schule vergangen. Und alle meine Befürchtungen und Ängste haben sich in Luft aufgelöst. Am meisten Bedenken hatte ich wegen des Horts, da sie als einzige aus ihrer Klasse und ohne ihre langjährigen Freunde dort hin geht. Aber bereits am zweiten Tag verkündete sie mir, sie habe eine Freundin gefunden und ich solle sie am nächsten Tag doch bitteschön etwas später abholen. Meine Tochter!
Sie macht meist schon im Hort selbstständig ihre Hausaufgaben („Mama, das ist voll Baby!“), sie muss sich (als in dieser Hinsicht verwöhnte Erstgeborene) mit dem Mittagessen dort arrangieren („Ich hab‘ die Soße ein bißchen abgekratzt, aber es war trotzdem eklig.“) und sich mit ihr fremden Menschen auseinander setzen („Ich habe so ein Glück, dass ich so eine nette und freundliche Lehrerin habe.“). Noch findet sie die Schule total spannend, freut sich jeden Morgen wieder hin gehen zu dürfen und sehnt den Tag herbei, an dem sie endlich lesen kann.
Wie sehr sie all dies Neue belastet, merkt man dann erst am Nachmittag. Wenn die Kräfte langsam schwinden, wenn sie müde wird. Dann reicht irgendeine Nichtigkeit, dass sie förmlich explodiert. Dann wird geschrien und geheult und getobt. Wir kennen dies ja nun schon, seit sie geboren wurde, aber es bringt uns immer noch relativ schnell an unsere Grenzen. Es ist, als renne man immer wieder mit voller Wucht gegen eine Betonwand. Da hilft kein Reden, kein Zuhören, kein Schimpfen, kein Schreien, kein Beschwichtigen, keine Liebesbekundungen. Das müssen alle Beteiligten einfach aushalten so lange es dauert. Auch gerne mal eine Stunde am Stück. Danach sind wir alle erschöpft, aber irgendwie auch geerdet.
Unfassbar wie schwer und kräftezehrend es ist, äußerlich und innerlich zu wachsen.
Und so rast die Zeit dahin. Vielleicht schaffe ich es in Zukunft ja doch ab und an, sie hier ein klein wenig festzuhalten.